KRITIS auf EU-Ebene – Teil 2

Derzeit beschäftigt sich das europäische Parlament in den Vorgängen 2020/0359 (COD) und 020/0365 (COD), auch genannt NIS2- und RCE-Direktive, mit Cybersicherheit und der Resilienz Kritischer Infrastrukturen.

Da sich beide Direktiven auch auf die IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen in Deutschland auswirken, hat eine Untergruppe der AG KRITIS in den letzten Wochen eine Bewertung der vorliegenden Entwürfe vorgenommen.

Eine erste Bewertung haben wir bereits hier veröffentlicht: Bewertung der EU-NIS und EU-RCI Richtlinie, die dort erwähnten noch fehlenden Punkte haben wir nun in einer zweiten Bewertung analysiert und stellen Ihnen die Bewertung hier zur Verfügung:

Vielen Dank an die Mitglieder der AG KRITIS, die sich bereit erklärt haben, neben den regulären Aufgaben innerhalb der AG KRITIS, diese Bewertung vorzunehmen.

IT-Sicherheitsgesetz 2.0 – alle verfügbaren Versionen

Hier stellt die AG KRITIS zur Übersicht alle Versionen des IT-Sicherheitsgesetz 2.0 bereit, die irgendwo öffentlich geworden sind, so dass es eine Chance gibt, den Überblick zu halten. Das BMI hat leider versäumt, eine solche Transparenz im Sinne der Gesetzgebung eigenständig vorzunehmen – ebenso gibt es leider weiterhin keine vom BMI bereitgestellten Synopsen, anderweitige Differenzversionen oder Versionen mit Änderungsmarkierungen jeglicher Art.

Timeline der IT-SIG 2.0 Versionen:

18.05.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Vollständiges IT-SiG 2.0) (Vollständige HTML Version via Buzer.de)

18.05.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Beschlossene Fassung aus dem  Bundesgesetzblatt) (17 Seiten)

20.04.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Antrag Entschließung CDU/CSU und SPD) (5 Seiten)

20.04.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Änderungsantrag CDU/CSU und SPD) (20 Seiten)

25.01.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Bundestagsfassung) (110 Seiten)

01.01.2021 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Bundestagsfassung) (130 Seiten)

16.12.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Kabinettsfassung) (118 Seiten)

11.12.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (119 Seiten)

09.12.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Anschreiben Verbände) (10 Seiten)

09.12.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (Verbändefassung) (108 Seiten)

01.12.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (92 Seiten)

19.11.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (92 Seiten)

07.05.2020 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (73 Seiten)

27.03.2019 IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (90 Seiten)

To be continued…

Aktuelle Veröffentlichungen zu NIS2 und KRITIS Dachgesetz Referentenentwürfen der AG KRITIS

Alle Veröffentlichungen zu NIS2 Referentenentwürfen findet ihr hier:

Alle Veröffentlichungen zu KRITIS Dachgesetz Referentenentwürfen findet ihr hier:

 

Vorherige Stellungnahme der AG KRITIS

Bei weiteren sachdienlichen Hinweisen wenden Sie sich bitte an Ihre nächste Kontaktperson der AG KRITIS.

Für Risiken und Nebenwirkungen kontaktieren Sie Ihre Abgeordneten.

Artikel: Spiegel.de – Der Cyberangriff auf die US-Pipeline ist ein Warnschuss für Deutschland

Der Spiegel berichtete über den Ransomware-Angriff auf den amerikanischen Pipeline-Betreiber „Colonial Pipeline“ und fragte dazu unsere Einschätzung an.

Johannes Rundfeldt, Sprecher der Gruppe, sagt, dass Cyberkriminelle, die ihre Opfer gezielt auswählen, sich gern für Ziele mit hoher Sichtbarkeit und Wichtigkeit für das Gemeinwesen entscheiden. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, nicht nur ein Lösegeld zu bekommen, sondern ein besonders großes Lösegeld fordern zu können. Betreiber kritischer Infrastruktur seien so gesehen ein interessantes Ziel, so Rundfeldt, »denn dadurch, dass besonders viele Menschen von den Betreibern kritischer Infrastrukturen abhängig sind, ist die Bereitschaft der Betreiber, ein Lösegeld zu bezahlen, besonders hoch.«

Stellungnahme der AG KRITIS zum BSI-KritisV-Entwurf vom 22.04.2021

Am 26. April 2021 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) den „Entwurf einer zweiten Verordnung zur Änderung der BSI-Kritisverordnung“ (KritisV) veröffentlicht. Insgesamt werden durch die darin enthaltenen Änderungen über alle KRITIS Sektoren hinweg ca. 270 zusätzliche KRITIS Betreiber erwartet, was eine umfangreiche Ausweitung der registrierten KRITIS Betreiber darstellt. Adressiert werden dadurch im Wesentlichen die folgenden Sektoren:

  • Energie: ~170 (insbesondere Stromerzeugung)
  • IT und TK: ~10 (insbesondere IXP & Rechenzentren)
  • Finanz- und Versicherungswesen: ~20 (insbesondere Wertpapier- & Derivathandel)
  • Transport und Verkehr: ~70 (insbesondere intelligente Verkehrssystem)

Evaluierung? Weiterhin unvollständig, halbherzig, intransparent und nicht öffentlich!

Angeblich hat inzwischen eine Evaluierung der KritisV stattgefunden, deren Erkenntnisse in dem Entwurf Berücksichtigung finden. Allerdings gibt es keinerlei Informationen zu Umfang, Methodik und Ergebnissen dieser Evaluierung, ganz zu schweigen von einem Nachweis der Unabhängigkeit oder der Expertise der Evaluierenden. Nur eine Veröffentlichung der KritisV Evaluierungen schafft die notwendige Transparenz, um eine objektive Beurteilung der KritisV zu gewährleisten.

So wurden offensichtliche Fragestellungen, wie Auswirkungen durch sektorübergreifende KRITIS Betreiber oder auch der pauschale Regelschwellenwert von 500.000 Personen, nicht analysiert. Im Ergebnis werden z.B. Ver- und Entsorgungsbetriebe von Städten wie Bielefeld, Bonn, Münster, Karlsruhe, Mannheim, Augsburg, Wiesbaden, Braunschweig oder Aachen mit ihrer Einwohneranzahl weiterhin nicht zu kritischen Infrastrukturen gezählt.

Es wirkt eher, als habe das BMI das Feedback der Aufsichtsbehörden und des BSI eingesammelt und in ein Update einfließen lassen. Von einer Evaluierung ist weiterhin weit und breit keine Spur.

Allgemeine Änderungen

Unter Anlagen werden jetzt auch explizit „Software und IT-Dienste, die für die Erbringung einer kritischen Dienstleistung notwendig sind“ definiert. Diese waren allerdings bereits zuvor relevant und wurden nur der Vollständigkeit halber ergänzt.

Konkretisiert wurde auch die Definition von mehreren Anlagen, die eng miteinander verbunden sind und somit als gemeinsame Anlage gelten. Denn eine Störung oder der Ausfall einer Anlage zieht mit hoher Wahrscheinlichkeit alle anderen Anlagen mit, so dass diese auch wie eine große Anlage zu sehen sind.

Sofern mehrere KRITIS-Betreiber gemeinsam eine Anlage betreiben, ist jeder für die Erfüllung der Pflichten als Betreiber verantwortlich und kann sich somit nicht aus der Verantwortung stehlen.

Details in den Sektoren

Sektor Energie

  • Stromerzeugungsanlagen sind im Schwellenwert von 420 MW auf 36 MW reduziert worden, somit werden weitere kleinere Anlagen aufgenommen. Mit dieser signifikanten Änderung des Schwellwerts wird einer Empfehlung der Bundesnetzagentur gefolgt.
  • Schwellwerte für zentrale Anlagen und Systeme für den Stromhandel wurden von 200 TWh/Jahr auf 3.700 TWh/Jahr angehoben. Dabei sind gleichzeitig aber Einschränkungen auf den „physischen kurzfristigen Spothandel im deutschen Markt“ entfallen. Laut Referentenentwurf wurden in diesem Bereich bisher keine KRITIS-Betreiber verzeichnet. Somit besteht hier wohl das Bestreben, weitere KRITIS-Betreiber zu erfassen.
  • Messstellen wurden als Kategorie ersatzlos gestrichen, da sie sich laut Evaluierung als nicht erforderlich herausgestellt haben. Eine weitere Begründung ist nicht ersichtlich.

Sektor Wasser

  • Stauanlagen wurden hinzugefügt.

Sektor Ernährung

  • Fuhrpark-, Hof- und Flottenmanagementsysteme wurden hinzugefügt.
  • ERP-, Warenwirtschaft und Lagerveraltungssysteme sowie EDI- Dispositionssysteme, Lieferanten- und Kundenstammdatensysteme finden beispielhafte Erwähnung als Konkretisierung.
  • Alkopops sind jetzt KRITIS, da Getränke mit einem Alkoholgehalt von bis zu 1,2 Volumenprozent in die Definition fallen.

Sektor IT und TK

  • Registrierungsstellen für Top-Level-Domains fallen jetzt explizit in die Definition, obwohl DNS-Server bereits in die Anlagenkategorie „DNS-Server“ fallen.
  • Der Schwellenwert für Internet Exchange Points (IXP) wurde von 300 auf 100 angeschlossene autonome Systeme herabgesetzt und die Beschreibung konkretisiert.
  • Der Schwellwert von Housing-Rechenzentren wurde von 5 MW auf 3,5 MW vertraglich vereinbarter Leistung reduziert.

Sektor Gesundheit

  • Wareneingang, Lagerung und Warenausgang finden beispielhafte Erwähnung als Konkretisierung.
  • Im Laborinformationsverbund finden die Steuerung des Probentransports, die Kommunikation zum Auftragseingang und zur Befundübermittlung sowie der Betrieb eines Laborinformationssystems beispielhafte Erwähnung als Konkretisierung. Hier scheinen die Praxiserfahrungen der Pandemie-Situation eingeflossen zu sein.

Sektor Finanz- und Versicherungswesen

  • Lastschriften oder Zahlungsaufträge finden beispielhafte Erwähnung als Konkretisierung.
  • Das Erzeugen und Weiterleiten von Aufträgen zum Handel von Wertpapieren und Derivaten an einen Handelsplatz, der Handelsplatz selbst und sonstige Depotführungssysteme sind neu hinzugefügt worden.
  • „Ein integriertes Anwendungssystem zur Erfassung, Prüfung und Berechnung von sozialversicherungsbezogenen Transferleistungen nach SGB II“ wurde hinzugefügt.

Sektor Transport und Verkehr

  • Es wurden die Flugsicherung und Luftverkehrskontrolle und das Flughafenleitungsorgan hinzugefügt.
  • Bei der Leitzentrale der Eisenbahn findet die Disposition von Personal und die Disposition des Wartungsbetriebs Erwähnung.
  • In der Seeschifffahrt findet die Disposition des Schiffsraums und die Leitzentrale der Binnenschifffahrt (nur Güterverkehr) als Konkretisierung Erwähnung. Neu hinzugekommen sind Umschlaganlagen in See- und Binnenhäfen, Hafenleitungsorgane (nur Güterverkehr) sowie Anlagen oder Systeme zur Abwicklung, Koordination, Steuerung und Verwaltung des übergreifenden Hafenbetriebs.
  • In Verkehrssteuerungs- und Leitsystemen finden Bundesautobahnen, zum Beispiel Verkehrs-, Betriebs- und Tunnelleitzentralen, Entwässerungsanlagen, intelligente Verkehrssysteme und Fachstellen für Informationstechnik und Informationssicherheit im Straßenbau Erwähnung.
  • Im kommunalen Straßenverkehr wurden Intelligente Verkehrssysteme hinzugefügt. Ebenfalls hinzu kommen Leitzentralen des ÖSPV, Anlagen oder Systeme zur Erbringung operativer Logistikleistungen und IT-Systeme zur Logistiksteuerung oder -verwaltung. Eine weitere Änderung wurde mutmaßlich durch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) verursacht und ändert die Bemessungsgröße im ÖPNV von „Anzahl Fahrgäste/Jahr“ zu „Anzahl unternehmensbezogener Fahrgastfahren/Jahr“.
  • Auch neu hinzugekommen sind Bodenstationen eines europäischen Satellitennavigationssystems.
  • Es wurde konkretisiert, dass es sich um den deutschen Teil des Kernnetzes bei Schienennetzen und Stellwerken der Eisenbahn handelt.

Fazit

Wir begrüßen, dass einige Schwellenwerte herabgesetzt wurden und dadurch weitere Betreiber unter die BSI-Kritisverordnung fallen und durchaus einen großen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland leisten. Zudem dürften die Konkretisierungen und ergänzenden Beispiele in den jeweiligen Sektoren insbesondere für die Betreiber eine Hilfe sein, wenn es um die Identifikation ihrer kritischen Anlagen und Dienstleistungen für die Versorgung Deutschlands geht.

Auf der anderen Seite ist das pauschale Festhalten an dem Regelschwellenwert von 500.000 Personen für uns weiterhin unverständlich, da somit weiterhin nicht einmal viele der deutschen Großstädte Berücksichtigung finden, z. B. im Bereich der Wasserversorgung. Wir fordern daher weiterhin, die Schwellenwerte öffentlich zu diskutieren und wissenschaftlich zu evaluieren. Dabei sind auch sektorübergreifende Kaskedeneffekte zu berücksichtigen.

Hier findet ihr die politischen Forderungen der AG KRITIS.